Verlierer der Europawahl ignorieren das Votum der Bevölkerung

Am 16.7. tritt das neue Europäische Parlament zu seiner ersten Plenarsitzung zusammen und wählt seinen Präsidenten sowie den Präsidenten der neuen Europäischen Kommission. Die letztere Wahl ist aber nicht souverän, weil der Europäische Rat vorher die Kandidaten aushandelt. Das Parlament kann nur den vom Rat vorgeschlagenen Kandidaten billigen oder ablehnen, und bisher wurde noch keiner abgelehnt.

Doch das kleine Problem ist: Die beiden Hauptakteure im Europäischen Rat, Bundeskanzler Scholz und Präsident Macron, sind die größten Verlierer der Europawahl vom 9.6. In einer Gemeinschaft, die sich auf europäische Werte gründet (hat jemand „Demokratie“ gesagt?), würde man erwarten, daß sie die Konsequenzen aus ihrer Niederlage ziehen, doch sie machen einfach weiter wie zuvor.

Auf der ersten Tagung des Rates am 17.6. mußten die Ministerpräsidenten Giorgia Meloni aus Italien und Viktor Orban aus Ungarn neben anderen über zwei Stunden im Brüsseler Sitzungssaal warten, während Macron, Scholz und andere Anführer der sog. „Ursula-Koalition“ (Liberale, Christdemokraten, Sozialisten) sich auf ein Kandidatentrio für die Ämter des Kommissionspräsidenten, des Außen- und Sicherheitsbeauftragten und des Ratspräsidenten einigten. Die Auserwählten sind Ursula von der Leyen, die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas und der ehemalige portugiesische Ministerpräsident Antonio Costa. Meloni protestierte wütend, so könne man Italien als Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft nicht behandeln. Sie fordert nun als Wiedergutmachung für den Affront einen Spitzenposten in der Kommission für Italien.

Aber selbst wenn Melonis Forderungen erfüllt werden, wird die Wahl der neuen Kommission nicht einfach. Die „Ursula-Mehrheit“ im Europaparlament ist knapp, und wenn es so viele Abweichler gibt wie vor fünf Jahren, wird sie die Abstimmung verlieren. Daher gibt es jetzt ein Geschacher, um die Mehrheit entweder nach links, mit den Grünen, oder nach rechts zu erweitern. Beide Optionen stoßen jedoch auf den Widerstand des anderen Lagers. Es ist daher nicht auszuschließen, daß in letzter Minute Mario Draghi aus dem Hut gezaubert wird, als der einzige Kandidat, der eine Mehrheit findet.

Unterdessen zeigt sich die Arroganz der europäischen Eliten darin, daß die scheidende Kommission nicht einfach nur die laufenden Geschäfte zu Ende führt, sondern so tut, als hätte sie noch alle Befugnisse. Sie hat sogar Verfahren wegen Verletzung der Defizitregeln gegen Frankreich, Italien und einige andere Länder eingeleitet und Haushaltskürzungen gefordert. Dies, obwohl laut den jüngsten Eurostat-Daten die europäische Industrieproduktion im April gegenüber dem Vorjahr um 3% gesunken ist. Außerdem veröffentlichte die Kommission einen Bericht, in dem sie eine Verfassungsreform und Steuerreform ablehnt, über die das italienische Parlament gerade abstimmt. Offenbar will sie beweisen, daß sie immer noch der Boß ist…