Konferenzbericht: „Europa muß sich nach der Europawahl der Globalen Mehrheit anschließen“

Die zweitägige Konferenz des internationalen Schiller-Instituts „Die Welt am Abgrund: Für einen neuen Westfälischen Frieden!“ begann am 15.6. in einer Zeit extremer Krisen und diente nicht nur als Plattform, um die Krisenursachen zu erörtern, sondern auch, um über Grundsätze für deren Lösung zu diskutieren. Die zweitägige Veranstaltung gliederte sich in vier Sitzungen mit 23 Rednern aus elf Ländern. Letzte Woche enthielt Strategic Alert bereits ein vorläufiges Programm, die endgültige Fassung und die Videos der gesamten Veranstaltung sind auf der Webseite des Schiller-Instituts abrufbar.

Die erste Sitzung befaßte sich direkt mit der Tatsache, daß der Versuch des kollektiven Westens, nach dem Ende des Kalten Krieges die globale Vorherrschaft des neoliberalen Systems zu behaupten, krachend gescheitert ist. Viele Aspekte wurden diskutiert, insbesondere die Inkompetenz der westlichen Staatsführungen, ihr Mangel an Diplomatie sowie die Tatsache, daß die Wahl zum Europäischen Parlament in der Vorwoche eine klare Absage an die derzeitige Politik war.

Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche sprach in ihrer Grundsatzrede eindringlich über die akute Gefahr, sie fragte: „Warum stehen wir am Rande des Dritten Weltkriegs?“ Sie nannte als Gründe dafür u.a. den militärischen Mißerfolg der Ukraine (sprich der NATO) gegen Rußland sowie die jüngsten Angriffe auf zwei der zehn russischen nuklearen Frühwarnanlagen. Sie betonte: „Wir befinden wir uns am Ende einer Epoche“, nämlich Kolonialismus und Neokolonialismus, und jetzt sollten wir voranschreiten. Man brauche ein neues System, und die – von den westlichen Medien unterdrückte – „gute Nachricht ist, daß ein neues Weltsystem im Entstehen ist, ein polyzentrisches, harmonisches, multinodales System“ als Zukunftsgemeinschaft der Menschheit, wie Xi Jinping es nennt.

„Das ist eine schöne Idee, die es schon seit vielen Jahrhunderten gibt, jetzt ist sie wieder neu.“ Zepp-LaRouche erinnerte an frühere entscheidende positive Veränderungen mit Hilfe großer Persönlichkeiten wie Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und Friedrich List (1789-1846) sowie Cai Yuanpei (1868-1940). „Das ist keine Zukunftsvision mehr, es ist schon da,“ schloß sie. „Und anstatt in den letzten Weltkrieg zu stolpern, nach dem es nichts mehr geben wird, sollten wir uns der Globalen Mehrheit anschließen.“

Es besteht dringender Handlungsbedarf

Die weiteren Podiumsteilnehmer aus den USA, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Belarus und Rußland waren sich einig, daß angesichts der aktuellen Krisen dringender Handlungsbedarf besteht, wobei sie unterschiedliche Schwerpunkte setzten und unterschiedliche Informationen lieferten. Chas Freeman, ehemaliger US-Botschafter und China-Experte, prangerte die Politik des US-Establishments an, die auf Wirtschaftskrieg und militärische Konfrontation gegen vermeintliche Feinde in aller Welt setze, ohne daß Aussicht auf ein Ende besteht. Freeman begrüßte die Idee eines neuen Westfälischen Friedens.

Zwei Sprecher aus Belarus ergänzten, was Stimmen für den Frieden aus Eurasien schon seit Jahren sagen. Dr. Olga Lasorkina, Vorsitzende der Abteilung für Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR), sprach davon, daß die Nationen eine „gemeinsame Basis“ finden sollten, weil wir alle auf einem Planeten leben. Ihr Kollege im BISR, Witali Romanowskij, ging speziell auf die Rolle von Belarus bei den Friedensbemühungen der letzten Jahre für die Ukraine ein.

Die vier Redner des ersten Panels, die einen militärischen Hintergrund haben und weiterhin mit dem Militär verbunden sind, waren sehr eindringlich. Oberst a.D. Alain Corvez aus Frankreich, ehemaliger Berater des französischen Innenministeriums, zitierte Nietzsche, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, daß die Führer des Westens dement seien. Sie befänden sich im Reich des Nihilismus und seien unfähig, rational zu denken. Die USA seien ein Hegemon, der nicht erkenne, daß er seine Vormachtstellung verloren habe. Corvez schloß sich dem Thema der Konferenz an und forderte eine breite Mobilisierung für einen neuen Westfälischen Frieden.

Seine französische Kollegin Caroline Galactéros, Politikwissenschaftlerin und Oberst der Reserve, rief Frankreich dazu auf, sich von den USA und ihrer Kriegstreiberei zu distanzieren und sich mit denjenigen zusammenzuschließen, die sich für Stabilisierung und Sicherheit einsetzen. Man müsse „retten, was von der Ukraine noch übrig ist“.

Aus der Schweiz berichtete Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard über die militärische Lage in der Ukraine und anderswo: „Wir stecken weltweit in einer Sackgasse.“ Die Behauptung, Rußland wolle bis nach Berlin oder sogar Bern marschieren, beruhe auf einer Unterschätzung des damit verbundenen Aufwands oder Inkompetenz oder sei einfach reine Propaganda.

Rainer Rupp, Militär- und Geheimdienstexperte aus Deutschland, der von 1977-93 im NATO-Hauptquartier die regelmäßige Atomkriegssimulierung „Wintex“ (Winterübungen) persönlich miterlebt hat, verdeutlichte die Denkweise der US-amerikanischen, britischen und anderen NATO-Führer, die dabei keinerlei Rücksicht auf ungeheure zivile Verluste nahmen.

Georgi Toloraja, Direktor des Zentrums für Asienstrategie am Institut für Wirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften, berichtete kurz über Präsident Putins große Rede vor den Spitzen des Außenministeriums am 14.6. zu Vorschlägen für die eurasische und globale Sicherheit. Dabei ging es um den Globalen Süden und den Globalen Osten sowie dynamische neue Zusammenschlüsse wie die BRICS.

Zepp-LaRouche betonte in der Diskussion, die heutigen Kriege seien „das Ergebnis einer tiefen kulturellen Krise“ im Westen. Die nächsten drei bis sechs Monate seien die gefährlichste Zeit der Geschichte. „Wir müssen einen Dialogprozeß in Gang setzen, in dem das Beste der Menschheit überall inspiriert und zum Handeln angeregt wird.“

Die Globale Mehrheit fordert Entwicklung

Panel 2 mit dem Titel „Die Entwicklungsbestrebungen der Globalen Mehrheit“ umfaßte sechs Redner aus Südamerika, Europa und Palästina. Den Auftakt bildete ein Videoausschnitt aus einer Rede von Lyndon LaRouche vor 20 Jahren, am 4. Mai 2004, auf einer Konferenz in Deutschland, worin er über wirtschaftliche Entwicklung sprach. Er stellte die Idee von Entwicklungskorridoren „vom Atlantik bis zum Pazifik“ vor, die in alle Richtungen ausstrahlen – Jahre vor der „Gürtel- und Straßen-Initiative“ des chinesischen Präsidenten Xi 2013.

Aus Südamerika schilderte der ehemalige Präsident von Guyana, Donald Ramotar, die jahrzehntelange wirtschaftliche Ausbeutung seiner und anderer Nationen. Der Aufstieg der BRICS-Staaten sei entscheidend, um dies zu ändern. Henry Baldelomar, Professor für internationale Angelegenheiten an der Nur-Universität in Santa Cruz in Bolivien, sprach über Projekte wie den neuen bi-ozeanischen Eisenbahnkorridor, der den Pazifischen und den Atlantischen Ozean verbinden soll.

Im Gegensatz zu dieser Wachstumsperspektive zeichneten die Berichte aus Europa das Bild eines unnötigen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs als Folge einer destruktiven Politik. Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Netfonds AG in Deutschland, sprach in einem von Zepp-LaRouche geführten Interview mit dem Titel „Quo Vadis, Deutschland?“ über so grundlegende Probleme wie den Mangel an Energie und deren Unbezahlbarkeit sowie die negativen Auswirkungen der Rußland-Sanktionen.

Der ungarische Experte Prof. Dr. Laszlo Ungvari, emeritierter Präsident der Technischen Hochschule Wildau, sprach über seine Enttäuschung über das heutige Europa mit seinen sich selbst entwürdigenden Politikern an der Macht und einer verwirrten Jugend.

Der italienische Wirtschaftswissenschaftler und China-Experte Michele Geraci, ehemaliger Staatssekretär im italienischen Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, erläuterte, was „Win-Win“-Beziehungen zwischen den Nationen für ihre gegenseitige wirtschaftliche Entwicklung bedeuten würden. Er sagte: „Ihr Wohlstand und mein Wohlstand sind untrennbar miteinander verbunden.“

Der palästinensische Botschafter in Dänemark, Prof. Dr. Manuel Hassassian, begann seinen Vortrag über die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates mit der Erläuterung des „LaRouche-Konzepts“ der Entwicklung durch den Oasenplan. Mittels der Perspektive, Wasser, Strom und alle anderen Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen, gebe es eine Grundlage für die Zukunft. Wenn man dieses Problem nicht löse, werde der nächste Krieg um Wasser geführt werden. Der Botschafter beleuchtete dann den aktuellen Konflikt in Palästina und den Kampf um Gerechtigkeit und Staatlichkeit für sein Volk.

Die Panels 3 und 4 am Sonntag widmeten sich den Themen „Die Auswirkungen der laufenden wissenschaftlichen Revolution“ und „Der Reichtum der Kulturen der Menschheit und die kommende Goldene Renaissance“. Sie stießen eine angeregte Diskussion an. Über diese Sitzungen berichten wir in der nächsten Ausgabe.