Selenskyjs „Siegesplan“ droht zu scheitern

Nach wochenlangen großspurigen Ankündigungen seines „Siegesplans“ hat Präsident Wolodymyr Selenskyj den Plan endlich am 16.10. in einer Rede im ukrainischen Parlament öffentlich vorgestellt. Er behauptete, mit dem Plan könne das Land Rußland besiegen und den Krieg beenden. Er ignoriert völlig, daß die russischen Streitkräfte an allen Fronten vorrücken, während die ukrainischen Streitkräfte auseinanderfallen und die Zahl der Deserteure so hoch ist, daß sogar die westlichen Medien darüber berichten müssen. Das erklärt zumindest zum Teil, warum die Führung im Westen wenig bis gar keine Begeisterung für den Plan zeigt.

NATO-Generalsekretär Mark Rutte räumte ein, daß der Plan, den Selenskyj in Brüssel vorgestellt hatte, auf dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister am 17.-18.10. kein wichtiges Diskussionsthema war. Die Mitgliedschaft in der Allianz werde „eines Tages“ kommen, bekräftigte Rutte, aber nicht jetzt. Der polnische Minister Władysław Kosiniak-Kamysz äußerte sich skeptisch über den Plan wegen der „schwierigen Frontlage“ und „enormen Kriegsmüdigkeit“. Und obwohl US-Präsident Biden während seiner Deutschlandreise am 18.10. in Berlin ein Treffen mit Kanzler Scholz, dem französischen Präsidenten Macron und dem britischen Premier Starmer abhielt, billigten sie den „Siegesplan“ nicht, und Biden traf sich nicht mit Selenskyj.

Was steht nun in dem berühmten Plan, bestehend aus fünf Punkten und drei geheimen Anhängen? 1. sofortige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, 2. Gewährleistung der Aufrüstung der Ukraine und 3. ein strategisches Abschreckungspaket gegen Rußland. Punkt 4 und 5 sollen den Westen mit attraktiven Angeboten locken – so will man strategischen Partnern gemeinsame Investitionen in die Nutzung der wertvollen „Rohstoffe und kritischen Metalle“ des Landes anbieten. (Punkt 2, 3 und 4 haben geheime Anhänge.) In Punkt 5 bietet Kiew an, nach dem Sieg über Rußland „bestimmte in Europa stationierte US-Militärkontingente durch ukrainische Einheiten zu ersetzen“. Selenskyj präzisierte am 17.10., damit könnten die USA „mehr in ihren vorrangigen Regionen tun, im Indopazifik oder sonstwo… Aber dafür müssen wir gewinnen.“

Auch wenn die westlichen Regierungen den „Siegesplan“ nicht unterstützen, versprechen sie Kiew allerdings noch mehr Geld, Waffen und Ausrüstung, um die NATO-Kriegsmaschinerie mit den in westlichen Banken eingefrorenen russischen Guthaben in Gang zu halten und um einen plötzlichen Kollaps des internationalen Finanzsystems zu verhindern. Gleichzeitig finden in Europa zwei große Militärübungen statt, eine davon Steadfast Noon mit Szenarien für einen Atomkrieg der NATO mit Rußland. Die „strategische Niederlage von Putins Rußland“ hat also nach wie vor Priorität, auch wenn sich der Schwerpunkt derzeit etwas nach Südwestasien verlagert hat.